Eigentlich ist die Klettertour hier zu Ende, aber ich will noch das Sahnehäubchen mitnehmen, will noch auf die spektakulär frei stehende Gipfelnadel des Salbit-Schijen hinauf steigen. Irgendwie verpasse ich in dem unübersichtlichen Blockgelände aber den richtigen Einstieg. Ich klettere eine steile Felsplatte hinauf, von der ich vermute, dass es die Salbitnadel ist. Immerhin war unten ein Haken, der nach einem Standplatz ausgesehen hat. Unterwegs machen mich aber die Flechten-bewachsenen Platten misstrauisch: hier ist bestimmt noch keiner gewesen, bin ich überhaupt richtig? Da ich nach den anfänglichen Rissen in der kompakten Platte keine mobilen Sicherungen mehr legen kann, klettere ich einfach weiter in der Hoffnung, dass schon noch irgendein Haken oder eine Schlinge kommen wird. Tut es aber nicht. Ich staune nicht schlecht, als ich an der Spitze des Felszackens ankomme und absolut nichts vorfinde. Kein Haken, kein Standplatz, kein Abseilring, gar nichts! Ich realisiere, dass ich auf einem Nebengipfel gelandet bin, die richtige Salbitnadel steht seitlich von mir. Scheiße! Was jetzt? Auf den Flechten ab zu klettern erscheint mir zu gefährlich und so tue ich das einzig mir hier und jetzt möglich erscheinende: eine lange Bandschlinge um den flachen Felskopf legen und daran Stand beziehen. Wie gelernt die Nachsteigersicherung bauen und dann das Kommando an Werner: „Nachkommen!“. Werner kommt nach und sammelt die von mir gelegten Keile und Friends ein. Dann kommt es, wie es kommen musste: sei es, weil die Stelle zu schwer war, sei es, dass er einen verklemmten Friend nicht raus bekommt, ich höre Werner nur kurz rufen, sehen kann ich ihn nicht: „Ich setz mich mal rein!“ Unter der Last strafft sich das Seil und zerrt an der nur lose über den Felszacken gelegten Bandschlinge, in der nicht nur seine Halbmastwurf-Sicherung, sondern auch ich selbst hänge. Weil der Zug aber nicht gerade von unten, sondern etwas von der Seite her kommt, beginnt die Schlinge sich plötzlich zu bewegen: erst klappt das Band über die gewölbte Kante einmal um, dann noch mal. Wenn jetzt nichts passiert, wird die Schlinge über das runde Köpfel flutschen und wir beide sind weg. Einfach so. Unser beider Leben hängt jetzt im wahrsten Sinne des Wortes an einem seidenen Faden, eben an jener bedrohlich umschlagenden Bandschlinge. Die Situation ist irgendwie total surreal und doch ist mir ganz klar, was gleich passieren wird. Ohne lange nachzudenken tue ich in diesem Augenblick intuitiv das Richtige: ich hänge mich mit meinem eigenen Körpergewicht in die entgegengesetzte Richtung des Sicherungsseils, an dem Werner hängt. Das Band bewegt sich nicht mehr und liegt jetzt wieder einigermaßen stabil auf dem runden Felskopf. Das war knapp, verdammt knapp! Bald ist Werner oben und wir können uns an der Köpfelschlinge von dem Felsturm abseilen. Ziemlich erleichtert erreichen wir wieder sicheren Grund, wo Heino und Martin schon auf uns warten. Uns allen ist die Lust vergangen, noch auf die richtige Salbit-Spitze zu steigen. Es reicht! Nach acht Stunden Klettern und fünf Stunden Zu- und Abstieg ist das Abenteuer an der Hütte zu Ende. Wir haben viel erlebt, noch mehr gelernt und den extrem schmalen Grat zwischen Glück und Tragödie beschritten. Wir haben was riskiert, sind in eine brenzlige Situation geraten und mit mehr Glück als Verstand (oder dank unseres Schutzengels?) mit heiler Haut raus gekommen. Noch mal gut gegangen!