Am zweiten Tag ging es bei recht gutem Wetter und bester Laune übers Hohe Venn, eine stille und sehr eindrucksvolle Wald- und Heidelandschaft. Unterwegs kaum ein Mensch. Am Steling, einer Anhöhe von 658 Metern Meereshöhe an der belgisch-deutschen Grenze war schon der topografische Höhepunkt der Tour erreicht. Von hier aus bot sich ein unglaublicher Weitblick, sicherlich dreißig, vierzig Kilometer hinaus in die Nordeifel. Windräder, ziehende Wolken, blauer Dunst in der Ferne - einfach nur schön. Nun steil hinab ins Rurtal nach Monschau. In dem beschaulichen Städtchen gönnte ich mir auf dem Marktplatz eine halbe Stunde Mittagpause, bevor ich, die Schleife um die Perlenbachtalsperre rechts liegen lassend und dem Rurtal ostwärts folgend, nach 32 Km und 8 Stunden mit nun schon deutlich wahrnehmbaren Druckstellen an den Fußsohlen Einruhr am Rurstausee erreichte. So heftig hatte ich mir zwei zusammengezogene Tagesetappen doch nicht vorgestellt, aber der erste Härtetest war bestanden. Die Teleskopwanderstöcke, die ich in den steilen Seitentälern der Rur erstmals ausgepackt hatte, sollte ich für den Rest der Wanderung nicht mehr aus der Hand legen. Sie haben mir eine echte Erleichterung verschafft.
Am dritten Tag war Regen mein ständiger Begleiter. Zum Glück hatte ich gute Regensachen eingepackt, so dass ich wenigstens von innen trocken blieb. Dennoch war zügiges Vorankommen angesagt, wollte ich doch noch heute das Kloster Steinfeld erreichen. Ich ersparte mir also die bei schönem Wetter gewiss sehenswerten Naturschönheiten am Rurstausee, die NS-Ordensburg Vogelsang und den Umweg über Schleiden. Stattdessen ging es, teilweise über die vielbefahrene Bundesstraße, durchs Urfttal über Gemünd, Kall und Sötenich nach Steinfeld. Tieferen Eindruck hat lediglich die kahle, einsame Hochfläche auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Vogelsang mit der Wüstung Wollseifen hinterlassen, die durch das neblig-nasse Wetter nur umso trauriger wirkte. Nach 7 Stunden bzw. 27 km war das Kloster erreicht. Hier wies man mir im Gästehaus ein einfaches Zimmer zu, welches ich dankbar bezog. Abends gab es im Refektorium wohlverdientes Essen und Trinken nebst geselliger Unterhaltung mit anderen Eifelsteiglern, die ich aber am nächsten Tag schon wieder aus den Augen verlor. Die Unterkünfte buchte ich übrigens kurzfristig von Tag zu Tag, ich wusste ja nicht, wie weit ich es schaffen würde. Das war auch kein Problem, es war ja Vorsaison und ich hatte mir die Adressen schon vorher besorgt.
Vierter Tag - immer noch Regenwetter. Das erste Drittel der Tour durch Hohes Venn und Rureifel lag schon hinter mir. Die nächsten drei Tage durch die Zentraleifel mit ihren Kalkmulden und Vulkankegeln würden ein ganz anderes Naturbild bieten. Die unterschiedlichen geologischen Verhältnisse bedingen ganz eigene Vegetations- und Landschaftsformen, die durchaus auffallen. So gab es unterwegs immer wieder Interessantes zu beobachten, richtig langweilig wurde es auf der Tour eigentlich nie. Dazu wechselt beim Marschieren ständig die äußere Wahrnehmung - Landschaft, Ortsbilder, Witterung - mit der nach innen gewandten Betrachtung, den Gedanken über Vergangenes, Erlebtes, das Leben überhaupt. Wer offen dafür ist, kann beim Gehen intensiv Zwiesprache mit dem eigenen Ich halten. Gedanken, die sonst wenig oder keine Zeit haben, gedacht zu werden, kommen und gehen, reinigen den Kopf. Es hat schon etwas meditatives, wenn, gleich einem Mantra, Melodien oder Fetzen eines Gedichtes im Kopf herum schwirren, manchmal stundenlang. Ein altes Kirchenlied zum Beispiel ging mir die ganze Reise lang nicht aus dem Sinn: Wer nur den lieben Gott lässt walten… Ich schweife ab. Heute Morgen ließ ich mir Zeit und besuchte nach einem ausgiebigen Frühstück noch die Frühmesse in der Klosterkirche. Bei dem Regenwetter würde ich unterwegs nicht allzu viel verpassen. Auf den Schlenker zur römischen Wasserleitung an der Urft, die einstmals von hier bis nach Köln führte, verzichtete ich. Dafür sah ich mir bei Nettersheim ein römerzeitliches Heiligtum an, das den örtlichen Fruchtbarkeits- und Muttergottheiten, den Matronen, geweiht war. Auf der Landstraße, später über Wald- und Wiesenwege ging es, teilweise durch knöchelhohen Morast, bis nach Blankenheim, wo unter einem Fachwerkhaus bekanntlich die Ahr entspringt. Wasser von oben, Wasser von unten. Ach ja - der Eifelsteig, wo Fels und Wasser dich begleiten… Die alte Residenzstadt der Grafen von Manderscheid-Blankenheim empfing mich in dichtem Nebel. An dieses S..wetter war ich mittlerweile ja schon gewöhnt. Als kleine Entschädigung für den verregneten Tag gönnte ich mir ein luxuriöses Hotelzimmer, die heiße Dusche war hoch willkommen. Heute waren es - nur - 5 ½ Stunden und 19 km.