Mein Fahrradcomputer zeigt schon 102 Kilometer an, obwohl der Google-Routenplaner die Hälfte der 200 Km erst fünf Kilometer weiter bei Enkirch berechnet hat. Es ist mittlerweile drei Uhr nachmittags und weil es schon um acht Uhr dunkel wird, beschließe ich, bereits hier umzukehren. Artur und ich machen an einem schattigen Plätzchen noch mal ausgiebig Pause und verabschieden uns dann. Artur will heute Abend noch bis nach Schweich bei Trier kommen und dann irgendwo draußen in seiner Hängematte übernachten. Nachdem wir unsere Nummern getauscht und uns viel Glück für den Weiterweg gewünscht haben, trennen sich unsere Wege. Vielen Dank, Artur, für Deine freundliche Gesellschaft! Ich überquere also die Mosel und fahre dann auf der „Eifeler“ Flussseite wieder zurück in Richtung Koblenz. Hier bewege ich mich weitgehend auf bekanntem Terrain. Vorbei an dem malerischen Pündericher Hangviadukt, der sogenannten Kanonenbahn, geht es am Flussufer entlang und durch flache Weinberge nach Zell und Alf. Der aufgefrischte Ostwind behindert spürbar das Vorankommen und ich bin froh, als ich mich eine Weile lang in den Windschatten eines Rennrad-Pärchens hängen kann. Auch dafür „Danke!“ an die unbekannten Radler aus Pommern an der Untermosel! Wieder an St. Aldegund, Bremm und Ediger-Eller vorbei folge ich bei Nehren versehentlich einem falschen Radweg-Schild lande unfreiwillig auf der anderen Moselseite. Das ist aber kein Problem, ganz im Gegenteil: Durch die schon tief stehende Abendsonne liegt die linke Flussseite jetzt schon weitgehend im Schatten und ich kann auf meiner Seite noch die warmen Sonnenstrahlen genießen. Bald bin ich wieder in Cochem, dreiviertel des Weges sind jetzt schon geschafft! Ich fühle mich immer noch gut und habe noch genug zum Essen und Trinken dabei, so dass ich auch die letzten 50 Kilometer auf dem Sattel absolvieren will. Dieses letzte Teilstück, immer auf der Bundesstraße am linken Moselufer entlang, zieht sich allerdings lang wie Gummi. Es ist nicht mehr viel los auf der Straße und ich bin allein mit meinen Gedanken und Gefühlen. Ich stelle mir eine heiße Badewanne und etwas Leckeres zum Essen vor. Wenn die Fahrt doch endlich zu Ende wäre! In meinem gemütlichen Altherrentempo kurbele ich beständig weiter und komme so Stück für Stück voran. Lediglich im Gesäß zwickt es etwas und hin und wieder stehe ich auf, um es zu entlasten. Die Pausen und die Energie-Gels werden jetzt häufiger. In Müden oder Moselkern muss ich anhalten und den rechten Schuh ausziehen, um einen aufkommenden Druckschmerz unter der Fußsohle weg zu massieren. Ansonsten geht es mir erstaunlich gut – keine schweren Beine, keine Wadenkrämpfe, keine Verspannungen in Armen oder Nacken, keine Verdauungsprobleme. Weiter geht’s. Noch 30 Kilometer, noch 20. Aufgeben kommt jetzt nicht mehr in Frage. In Kobern-Gondorf, das begehrte Ziel schon greifbar nahe, gibt es eine letzte kurze Snack-Pause. Eine verhaltene Freude, eine stille Genugtuung steigt langsam in mir hoch: na also, da geht doch noch was! Jetzt kann nur noch ein Unfall oder eine Panne mich aufhalten. In den verglühenden Strahlen der untergehenden Abendsonne fahre ich jetzt auf der bekannten Strecke an Winningen und Güls vorbei, der heimatlichen Hütte und der magischen 200-Kilometer-Marke entgegen. Dann ist es geschafft! Kurz vor acht Uhr abends erreiche ich in der Abenddämmerung mein Zuhause in Koblenz-Metternich. Der Tacho zeigt 201,88 Kilometer gefahrene Strecke und 8:42 Stunden reine Fahrzeit an, das ergibt einen gemütlichen 23er Schnitt. Mit Pausen war ich heute insgesamt 10:48 Std. auf dem Rad unterwegs.