200 Km Radtour | © Peter May

Der längste Tag – Meine erste 200-Kilometer-Radtour

Ein Bericht von Peter May

16.09.2025

„Je oller, desto doller!“ Dieser flapsige Spruch könnte auch für mich gelten, wenn ich bedenke, dass ich im beinahe-Rentenalter von 62 Jahren erstmals versucht habe, eine Radtour jenseits der magischen 200 Kilometer-Marke zu schaffen. 

Wie ich auf diese verrückte Idee gekommen bin? Als Fan von langen und anspruchsvollen Rennradtouren stieß ich beim Stöbern im World Wide Web auf etliche Videos, die glaubhaft und eindrücklich vermittelten, dass es für viele Rennradler die ultimative Herausforderung ist, einen „Gran Fondo“ mit über 200 Km Strecke zu absolvieren. Lange (bis zu 160 Km), steile (bis zu 24 %) und viele Höhenmeter umfassende Touren hatte ich ja schon zur Genüge hinter mir. Warum also nicht auch mal die 200 versuchen? Jedenfalls war die Langdistanz ein ganz neues Ziel für mich und das reizte mich schon irgendwie. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass ich meine letzte Marathon-Wanderung wegen Blasen am Fuß und meine letzte Bergtour aufgrund von Erschöpfung vorzeitig abbrechen musste. Ich musste mir wohl beweisen, dass da noch was geht. 

Nach einigem Hin- und Her-Überlegen fasste ich den Plan, von Koblenz aus auf der flachen Moselstrecke flussaufwärts Richtung Trier 100 Kilometer weit zu fahren, um dann umzukehren und auf derselben Strecke bis nach Hause zurück die 200 voll zu machen. Wenn die Kräfte nicht reichen sollten oder unterwegs etwas passieren sollte, könnte ich im Notfall mit der Eisenbahn problemlos nach Hause kommen. Je nach Fitness, Tempo und Gegenwind würde ich zwischen etwa acht und zehn Stunden unterwegs sein. Besondere Schwierigkeiten oder Orientierungsprobleme waren nicht zu erwarten. 

Mit diesem Wissen im Hinterkopf sowie zwei Litern Getränk, ausreichend Kalorien und einer guten Rad-Tourenkarte im Rucksack mache ich mich an einem Samstag Anfang September 2025 auf den Weg. Das Wetter ist frühherbstlich: nach einem nebligen Morgen zeigt sich bald eine mild strahlende Sonne. Die Temperaturen sind mit ca. 20-25 Grad ideal, der leichte Ostwind stört nur ein wenig auf der Rückfahrt. Mit zwei Windjacken und der Sturmhaube warm eingehüllt geht es um Punkt neun Uhr an der Haustür los. Gleich nach dem Start treffe ich bei Güls auf einen anderen Biker, der in meine Richtung fährt und mit dem ich bald ins Gespräch komme. „Na, wohin geht’s, was hast Du vor?“ Der junge Mann, der sich später als Artur vorstellt, kommt auch aus Koblenz und will in zwei Tagen bis nach Metz in Frankreich radeln. Wie ich hat auch er es nicht eilig und weil wir uns auf Anhieb gut verstehen, radeln wir zusammen weiter. Bei Kobern-Gondorf wechseln wir die Flussseite, damit wir sicher und ohne Gegenverkehr auf der rechten Seite des Radwegs bzw. Randstreifens fahren können. Unser Geplauder verkürzt die Zeit und so erreichen wir schnell Treis-Karden, wo wir für einen kurzen Ess- und Trinkstopp und zum Ausziehen der warmen Klamotten anhalten. Inzwischen hat die Sonne die Nebelschwaden vertrieben und verwöhnt uns mit ihren goldenen Strahlen. Über die Treiser Brücke fahren wir auf die andere Flussseite, damit wir nicht den steilen Valwiger Berg hochmüssen. Bei Cochem, wo die ersten 50 Km und ein Viertel der Tour geschafft sind, fahren wir wieder auf die orografisch rechte Moselseite. Auf einem schönen Radweg mit gutem Asphalt geht es dann über den vielfach gewundenen „Cochemer Krampen“ über Valwig, Bruttig-Fankel, Beilstein, Briedern und Mesenich nach Senheim. Hier müssen wir abermals die Mosel überqueren, weil es auf dieser Seite keine Straße mehr am Flussufer gibt. Mittlerweile ist es Mittag geworden und so langsam spüren wir auch schon eine leichte Müdigkeit in den Beinen. Aber nach wie vor lacht die Sonne und wir genießen immer wieder die reizvollen Ausblicke auf Dörfer, Weinberge und den großen Fluss. Nachdem wir Ediger-Eller und den Bremmer Calmont passiert haben, wechseln wir zum letzten Mal auf die „Hunsrücker“ Moselseite. Zwischen Neef und Bullay müssen wir die Landstraße benutzen, aber hier sind zum Glück nur wenige Autos unterwegs. Dann umfahren wir bei Zell die große Moselschleife und kommen über Briedel und Pünderich zur Moselbrücke bei Reil. 

Mein Fahrradcomputer zeigt schon 102 Kilometer an, obwohl der Google-Routenplaner die Hälfte der 200 Km erst fünf Kilometer weiter bei Enkirch berechnet hat. Es ist mittlerweile drei Uhr nachmittags und weil es schon um acht Uhr dunkel wird, beschließe ich, bereits hier umzukehren. Artur und ich machen an einem schattigen Plätzchen noch mal ausgiebig Pause und verabschieden uns dann. Artur will heute Abend noch bis nach Schweich bei Trier kommen und dann irgendwo draußen in seiner Hängematte übernachten. Nachdem wir unsere Nummern getauscht und uns viel Glück für den Weiterweg gewünscht haben, trennen sich unsere Wege. Vielen Dank, Artur, für Deine freundliche Gesellschaft! Ich überquere also die Mosel und fahre dann auf der „Eifeler“ Flussseite wieder zurück in Richtung Koblenz. Hier bewege ich mich weitgehend auf bekanntem Terrain. Vorbei an dem malerischen Pündericher Hangviadukt, der sogenannten Kanonenbahn, geht es am Flussufer entlang und durch flache Weinberge nach Zell und Alf. Der aufgefrischte Ostwind behindert spürbar das Vorankommen und ich bin froh, als ich mich eine Weile lang in den Windschatten eines Rennrad-Pärchens hängen kann. Auch dafür „Danke!“ an die unbekannten Radler aus Pommern an der Untermosel! Wieder an St. Aldegund, Bremm und Ediger-Eller vorbei folge ich bei Nehren versehentlich einem falschen Radweg-Schild lande unfreiwillig auf der anderen Moselseite. Das ist aber kein Problem, ganz im Gegenteil: Durch die schon tief stehende Abendsonne liegt die linke Flussseite jetzt schon weitgehend im Schatten und ich kann auf meiner Seite noch die warmen Sonnenstrahlen genießen. Bald bin ich wieder in Cochem, dreiviertel des Weges sind jetzt schon geschafft! Ich fühle mich immer noch gut und habe noch genug zum Essen und Trinken dabei, so dass ich auch die letzten 50 Kilometer auf dem Sattel absolvieren will. Dieses letzte Teilstück, immer auf der Bundesstraße am linken Moselufer entlang, zieht sich allerdings lang wie Gummi. Es ist nicht mehr viel los auf der Straße und ich bin allein mit meinen Gedanken und Gefühlen. Ich stelle mir eine heiße Badewanne und etwas Leckeres zum Essen vor. Wenn die Fahrt doch endlich zu Ende wäre! In meinem gemütlichen Altherrentempo kurbele ich beständig weiter und komme so Stück für Stück voran. Lediglich im Gesäß zwickt es etwas und hin und wieder stehe ich auf, um es zu entlasten. Die Pausen und die Energie-Gels werden jetzt häufiger. In Müden oder Moselkern muss ich anhalten und den rechten Schuh ausziehen, um einen aufkommenden Druckschmerz unter der Fußsohle weg zu massieren. Ansonsten geht es mir erstaunlich gut – keine schweren Beine, keine Wadenkrämpfe, keine Verspannungen in Armen oder Nacken, keine Verdauungsprobleme. Weiter geht’s. Noch 30 Kilometer, noch 20. Aufgeben kommt jetzt nicht mehr in Frage. In Kobern-Gondorf, das begehrte Ziel schon greifbar nahe, gibt es eine letzte kurze Snack-Pause. Eine verhaltene Freude, eine stille Genugtuung steigt langsam in mir hoch: na also, da geht doch noch was! Jetzt kann nur noch ein Unfall oder eine Panne mich aufhalten. In den verglühenden Strahlen der untergehenden Abendsonne fahre ich jetzt auf der bekannten Strecke an Winningen und Güls vorbei, der heimatlichen Hütte und der magischen 200-Kilometer-Marke entgegen. Dann ist es geschafft! Kurz vor acht Uhr abends erreiche ich in der Abenddämmerung mein Zuhause in Koblenz-Metternich. Der Tacho zeigt 201,88 Kilometer gefahrene Strecke und 8:42 Stunden reine Fahrzeit an, das ergibt einen gemütlichen 23er Schnitt. Mit Pausen war ich heute insgesamt 10:48 Std. auf dem Rad unterwegs. 

Ein langer Tag! Dabei fühle ich mich am Ende nicht mal besonders k. o. Wahrscheinlich war es die richtige Taktik, von Anfang an im niedrigen Tempo- und Pulsbereich zu bleiben und beständig Flüssigkeit und Kalorien „nachzutanken“. Alles in allem war die 200-Km-Tour gar nicht so schlimm, wie ich zuvor befürchtet hatte. Ich kann daher jedem ambitionierten Radler nur empfehlen, derartiges auch mal zu probieren. Übrigens: auch mein Weggefährte Artur hat am späten Sonntagabend sein Ziel in Metz mit dem Fahrrad erreicht. Herzlichen Glückwunsch dazu!

 

Peter May