Als vorsichtiger Mensch hatte ich schon im Voraus alle vier Berghütten auf der geplanten Route kontaktiert und Betten bzw. Lager für uns reserviert, damit wir bei dem im Hochsommer zu erwartenden Andrang nicht vor überfüllten Hütten stehen und abgewiesen würden. Dies gab uns zwar für alle Tagesetappen die Sicherheit für ein Nachtlager und Verpflegung, zwängte uns aber in einen starren Zeitplan, was sich noch als verhängnisvoll erweisen sollte. Aber der Reihe nach. Als wir am Sonntag, dem 6. August von Koblenz Richtung Schweiz starten, liegt über Mitteleuropa, wie so oft im verregneten Sommer 2023, ein kräftiges Sturmtief. Gegen Mittag erreichen wir in strömenden Regen den kleinen Weiler Wasserauen am nordöstlichen Fuß des Alpsteingebirges im Appenzeller Land. Der Name passt irgendwie. Nordstau, Dauerregen, die Gipfel in Wind und Wolken gehüllt. Wir streifen unser Regenzeug über, schultern die Rucksäcke und trotten los, nicht ohne zuvor die Parkgebühren via App und Kreditkarte bezahlt zu haben. Beim Geld-Einnehmen sind die Schweizer schon findig, das muss man ihnen lassen. Unser Tagesziel ist das Berggasthaus Schäffler auf 1.925 m Meereshöhe, was ein Aufstieg von gut 1.000 Höhenmeter bedeutet. Davon hätten wir uns 800 m sparen können, wenn wir die Gondelbahn hinauf zur Ebenalp genommen hätten, aber noch sind wir voll Tatendrang und gehen unseren Weg trotzig zu Fuß. Auf unserer Route liegt das Gasthaus Äscher und nebenan das Wildkirchli, eine Schauhöhle mit prähistorischen Funden und Bärenknochen. Natürlich schauen wir uns beides an, auch wenn alles triefnass ist. Der Blick auf das Gasthaus, das an eine senkrechte Felswand geklebt ist, ist weltberühmt. 2015 kürte die National Geographic das Äscher-Wildkirchli zum „schönsten Ort der Welt“. Was im Zeitalter von Internet und Instagram darauffolgte, kann man sich leicht vorstellen. Bei dem heutigen Schietwetter sind hier aber nur relativ wenige Leute für das begehrte Selfie unterwegs, uns kann das recht sein. Weiter geht es durch nasse Wiesenwege, Matsch und Kuhfladen, bis wir den Bergkamm erreichen. Hier bläst ein lausig kalter Wind und wir sind froh, als wir müde und durchnässt nach dreieinhalb Stunden endlich die Hütte erreichen. Trotz Regenschutz sind alle Klamotten, auch die im Rucksack, nass. Richtig ärgerlich ist es, dass die Feuchtigkeit auch in Bennis teure Fotoobjektive eingedrungen ist und sich als trüber Schleier auf den Linsen niedergeschlagen hat. Wir wärmen uns mit einer heißen Suppe auf, bringen die nassen Klamotten in den Trockenraum und beziehen ein gemütliches 4er Lager. Das Wetter bleibt schlecht und wir müssen uns für den nächsten Tag einen Plan B überlegen. Tatsächlich hat es in der Nacht weiter geregnet und sogar bis auf unter 2.000 Meter hinab geschneit. Die Gipfel und Grate sind in dichte Wolken gehüllt und die geplante Überschreitung des Säntis ist bei diesen Bedingungen nicht zu verantworten. Da wir am Abend in der Rotsteinpass-Hütte sein müssen, bleibt als Alternative nur noch der Abstieg ins Tal und erneuter Aufstieg zur Rotsteinhütte. Das heißt erst mal 800 Höhenmeter Steilabstieg über die Altenalp zum Seealpsee auf 1.142 m und dann gleich wieder 1.000 Höhenmeter hinauf zur Rotsteinhütte auf 2.120 m. Das ungewohnte, lange Bergabgehen über holprig-steile Wiesenpfade und durch den matschigen Wald macht mir zu schaffen. Trotz der Wanderstöcke brennen die Oberschenkel vor Schmerzen. Das kann in den nächsten Tagen ja noch heiter werden! Bisher war ich bei unseren Familien-Bergtouren stets vorne voran, aber mittlerweile hat unser Jüngster diese Rolle übernommen und ich trotte ziemlich bedröppelt am Schluss unserer Reisegruppe hinterher. Das Alter, es klopft erbarmungslos an die Tür! Der tolle Anblick der vielen Wasserfälle und Sturzbäche, die ins Tal rauschen, ist da nur ein schwacher Trost.